14. Mai 2006 0

Verwandlung

Fichte fasziniert mich. Ich konnte die kaum die Augen aus meiner Textsammlung (Friedrich Franz von Unruh: Ficht. Eine Textsammlung) lassen als ich einmal angefangen hatte zu lesen. Ich weiss tatsächlich nicht, wann mich zum letzten Mal ein Buch so in den Bann gezogen, so fasziniert hat wie dieses. Es ist das prickelnde Gefühl einen Text zu lesen, der fast 200 Jahre alt ist und dennoch mit Macht über die Zeiten hinweg zu einem spricht. Dazu kommt, ein altes Buch in den Händen zu halten, ein Buch mit Geschichte, das, 1935 gedruckt, schon einiges hinter sich hat. Man riecht die Geschichte in den alten Seiten, erahnt sie in der vertrauten Fraktur – alte Bücher sind etwas besonderes. In diesem hat mich vieles förmlich angesprungen, weil es sich wie hochaktuelle Theologie liest.

Sein System, wiederholte er, sei kein anderes als das kantische; es enthalte dieselbe Ansicht, die Darstellung nur sei verschieden. …Wie war es bei Kant? Der Mensch sieht sein wahres Ich und beginnt sich zu wandeln, von seinem nur-sinnlichen Ich zu scheiden….das Sinnliche ist ja, richtig verstanden, nicht Gegensatz, sondern Medium, Form und Pforte des Ewigen.

Das ist, in philosophischer Sprache ausgedrückt, eine der tiefsten theologischen Wahrheiten die ich kenne: das, was wir ansehen verändert uns. Das, womit wir uns beschäftigen wird uns prägen. Die effektivste Möglichkeit sich zu wandeln die ich kenne ist, zu erkennen, wer wir in Christus sind. Je mehr wir die neue Schöpfung kennenlernen und erkennen, zu welchem Erbe wir in Christus berufen sind, umso ähnlicher werden wir Jesus. Es gibt eigentlich nur zweierlei, was sich lohnt anzuschauen: Jesus selber und das Werk, das er in uns getan hat. Über Jesus hat Fichte wenig geschrieben, den Gott, den er beschreibt kenne ich nicht. Das Christentum, so wie es ihm in seiner Zeit vorgelebt wurde, war Fichte zutiefst zuwider. Dennoch hat er durch reines Nachdenken eine ganze Reihe göttlicher Prinzipien gefunden – ob er sie leben konnte steht auf einem anderen Blatt.

Kein Mensch wird sich jemals ändern durch äusseren Druck oder Überredung. Mit solchen Mitteln kann man zwar Verhaltensmodifikationen hervorrufen, aber den Wesenskern des Menschen lassen sie unberührt. Davon reden Fichte und Kant hier. Nur wer in das vollkommene Gesetz der Freiheit (Jakobus 1,25) geschaut hat wird wirklich zur Freiheit verändert. Fichte hat diesen Gedanken noch weiter ausgeführt, als über das neue Bildungssystem geschrieben hat. Auch hier ist ein Grundfehler bei ihm zu finden, der ihn als Kind seiner Zeit ausweist: zusammen mit Pestalozzi und Rousseau glaubte Fichte an den guten Menschen. Dennoch sind seine Ideen zur Bildung revolutionär, davon wird sicher in einem späteren Post die Rede sein.

Die Schwierigkeit des geistlichen Lebens ist es, durch die „sinnliche Welt“, wie Fichte es nennt, hindurchzukommen. So wie er es im Folgenden definiert klingt es fast so wie wenn E.W.Kenyon über den „realm of the senses“ spricht. Offenkundig bestätigt Fichte die Ansicht, dass vieles göttliche sich dem Menschen auch durch konsequentes Nachdenken erschliessen könnte.

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