11. Juni 2006 5

Gaben

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Was bedeutet es eigentlich, „eine Gabe zu haben?“. „Du hast eine Gabe zu reden“, sagt der eine; „ich hätte gern die Gabe der Prophetie“, wünscht eine andere; „Leider kann ich nicht in Sprachen reden“, bedauert ein dritter.
So löblich ich es finde, dass wir Charismaten an Gaben glauben, so falsch erscheint mir gelegentlich unsere Praxis. Theologisch sind wir zwar korrekt und glaubendas Richtige, aber dann stellen wir uns wieder selber ein Bein indem wir es nicht leben. Ich glaube, dass die meisten, auch charismatischen, Christen „Gaben“ übersetzen als: „etwas, das jemand anderes hat, ich aber nicht“. „Du hast da eine Gabe in dem und dem Bereich“ bedeutet: „schön, dass du es kannst, ich kann es nicht (und gerade darin zeigt es sich ja, dass Du eine Gabe hast)“. Das steht meinem Verständnis von Gaben gegenüber. Ich verstehe Gaben in dem Lichte von Epheser 4,11-13: Und er gab den einen das Apostelamt, andere setzte er als Propheten ein, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zu rüsten, für den Aufbau des Leibes Christi. So sollen wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, damit wir zum vollkommenen Menschen werden und Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellen. (Hervorhebungen von mir).
Gaben sind nicht nur etwas, was wir können, sondern auch etwas, was wir weitergeben, worin wir unsere Geschwister ausbilden. Das ist einer der schönsten Aspekte von Gemeinde überhaupt: sie schafft einen Kontext von Geben und Nehmen, in dem jeder weiterkommen kann.

Dazu zitiere ich mal wieder meinen geschätzten Fichte, der 1794 folgendes über die Gesellschaft schrieb:

Der gesellschaftliche Trieb, oder der Trieb, sich in Wechselwirkung mit freien vernünftigen Wesen – als solchen – zu setzen, faßt unter sich folgende beiden Triebe: den Mitteilungstrieb, d.i. der Trieb jemanden von derjenigen Seite auszubilden, von der wir vorzüglich ausgebildet sind, den Trieb, jeden anderen Uns selbst, dem bessern Selbst in uns, soviel als möglich, gleich zu machen; und dann – den Trieb zu empfangen, d.i. den Trieb, sich von jedem von derjenigen Seiten ausbilden zu lassen, von welcher er vorzüglich ausgebildet und wir vorzüglich ungebildet sind. {Fichte 1908 #265 : 243}

…ist in der gegebenen Gesellschaft für die Entwicklung und Befriedigung aller Bedürfnisse, und zwar für die gleichförmige Entwicklung und Befriedigung aller gesorgt? Wäre dafür gesorgt, so wäre die Gesellschaft, als Gesellschaft, vollkommen… {Fichte 1908 #265 : 253}

Ersetze „Gesellschaft“ durch „Gemeinde“ und Du erhältst eine Theologie, die einiges an Zündstoff bietet…

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4 Kommentare

  1. das sind ja schöne neue sprachregelungen: die gemeinde als ansammlung gesellschaftlich getriebener, die wechselweise ihrem mitteilungs- und ihrem empfangstrieb nachgeben.

    trotz dieser fichteschen begrifflichkeit bin ich nicht ganz überzeugt. bedeutet epheser 4,11-13 wirklich, dass 5fältige dienstleistung darin besteht, gaben mitzuteilen? bedeutet er nicht eher: man hilft dem anderen, das zu werden, was er ist (und nur bisher nicht erkannt oder nicht umgesetzt hat). man hilft ihm die gaben zu entwickeln, die er schon hat? gestern habe ich z.b. eine gemeindeleitung „supervisioniert“ oder wie immer man das nennen mag. es lief richtig gut. meine funktion bestand darin, dass ich ihnen geholfen haben, sich dessen bewusst zu werden, was sie eigentlich über ihre dienstberufung schon wussten, und sich ausserdem dessen bewusst zu werden, wodurch sie unbewusst blockiert waren.

    ansonsten glaube ich natürlich auch, dass gaben weitergegeben werden können, wobei ich mich frage, ob das in erster linie durch „ausbildung“ geschieht. ich habe früher – als ich bibelschullehrer war – festgestellt, dass ich ich in den bereichen als lehrer am schwersten tat, in denen ich meine stärksten gaben hatte. in diesen bereichen mache ich sachen nämlich intuitiv richtig, und intuition kann man nicht lehren. „ausbilden“ kann man nur, was sich zu bilden bereits begonnen hat.

    anders ausgedrückt: kommt nicht auch hier vor dem denken das handeln. man vermittelt gaben z.b. durch handauflegung (= handlung) oder – besser – indem man leute zu seinen diensten mitnimmt und sie den spirit catchen, den man darin hat und ausübt (= handlung / erfahrung). danach kann man ihnen auch lehrmäßig (= im denken) weiterhelfen. jesus hat seine jünger nicht ausgebildet, indem er sie auf ein seminar eingeladen hat, sondern indem er sie mitgenommen hat und sie etwas mit ihm erlebten. die theorie entstand aus der nachfolge.

  2. interessant, haso. von der seite habe ich das nie betrachtet. ich sehe den fünferdienst und generell dienstgaben als schulungsgaben: evangelist evangelisiert und „macht“ evangelisten. dieses „machen“ bedeutet natürlich auch charakterbildung, es ist also nicht nur ein ausbilden in der ausübung der gabe. das gesamtziel ist dann, dass die gemeinde alle gaben hat und dadurch alle gläubigen in die reife christi geführt werden.
    in dieser definition hätte fichte 100%ig recht: jeder gibt und empfängt bis alle haben.

    wieso bräuchte man in deiner definition überhaupt einen fünferdienst? dann bräuchte es doch nur eine „entwicklungsgabe“.

  3. jetzt noch weiter auf den 5erdienst einzugehen, schaffe ich gerade zeitlich nicht. generell sind meine derzeitigen comments (wie auch eine reihe von posts auf der eigenen tafel) nicht so sehr als alternative oder gegenposition zu verstehen, sondern als beitrag zur dekonstruktion von positionen, die zu selbstläufern geworden sind und nicht mehr hinterfragt werden, obwohl sie erkennbar nur sehr begrenzt funktionieren.

    seit jahren gehen wir davon aus: wenn etwas neues im land geschehen soll, oder wenn leute persönlich in neue dimensionen vorstoßen sollen, schulen wir sie zuerst. wenn leute pastoren werden wollen, schicken wir sie zuerst auf ein seminar. wenn leute heilen wollen, laden wir einen heilungsdienstler für einen healing workshop ein usw. aber bei der fülle an konferenzen, seminaren, schulungen, workshops, büchern, artikeln, kassetten, cds, dvds, predigten usw., die unser land heimsuchen, ist nur ein bruchteil von dem passiert, was hätte passieren sollen und müssen.

    daraus erwächst meine frage: müssen wir es nur besser machen? wenn ein 5fältiger dienst nach demselben muster operiert, nach dem viele andere unternehmungen wenig frucht gebracht haben, was ist dann von ihm zu erwarten? müssten wir es nicht ganz anders machen? müssen wir aus dem theorie-zuerst-ansatz nicht radikal aussteigen?

  4. das ist sicher richtig, aber ich verstehe fichte nicht in dem sinne, dass es ihm um wissensvermittlung geht. im gegenteil, da hat er schon vor mehr als 200 jahren gesagt, dass das nicht reicht und auch nicht funzt wenn das ziel ist, den menschen zu verbessern. „verbessern“ klingt zwar komisch, ist aber im prinzip das, was wir anstreben: es geht darum, ihn in die freiheit christi zu führen und das klappt nicht mit reiner wissensvermittlung.

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