30. November 2010 8

Nachfolge 3

Bonhoeffer leiht sich bei Kierkegaard einen Gedanken, der mich sehr anspricht; ein Bild, das einiges erklärt. Die Erkenntnis, dass man es nicht schaffen kann, vor Gott gerecht zu leben, ja, dass man es nicht einmal versuchen muss, steht am Ende des Kampfes nicht an dessen Anfang.
Wenn Faust am Ende seines Lebens erkennt, dass „wir nichts wissen können“, ist das etwas völlig anderes als wenn ein fauler Student mit dieser Erkenntnis seinen mangelnden Eifer zu erklären sucht. Wenn er sagt, dass lernen sich nicht lohnt weil man nichts wissen kann ist das etwas ganz anderes als bei Faust.

Bonhoeffer bringt diesen Gedanken in Bezug auf Martin Luther an:

Luther hatte gelehrt, dass der Mensch auch in seinen frömmsten Wegen und Werken vor Gott nicht bestehen kann, weil er im Grund immer sich selbst sucht.
(…)
Dass Gnade allein es tut, hatte Luther gesagt, und wörtlich so wiederholten es seine Schüler, mit dem einzigen Unterschied, dass sie sehr bald ausließen und nicht mitdachten und sagten, was Luther immer selbstverständlich mitgedacht hatte, nämlich die Nachfolge, ja, was er nicht mehr zu sagen brauchte, weil er ja immer selbst als einer redete, den die Gnade in die schwerste Nachfolge Jesu geführt hatte. ((Bonhoeffer, Dietrich; Kuske, Martin (2002): Nachfolge. 1. Aufl. der Taschenbuchausg. Gütersloh: Gütersloher Verl.-Haus (Gütersloher Taschenbücher, 455), S. 36))

Es gibt eine Art Luther zu zitieren, die seine Lehre im Endeffekt durchstreicht. Luther lebte und lehrte keine billige Gnade, er wird aber gerne benutzt um diese theologisch mit einem großen Namen zu legitimieren.
Hier zeigt sich ein weiteres Mal ein Prinzip, das auf diesem Blog immer wieder einmal thematisiert wurde: Die Biographie gibt einer Aussage erst den Rahmen in dem man sie verstehen kann. Viel schlechte Theologie ist entstanden wenn die Jünger nur die Worte ihres Meisters wiederholten und nicht sein Zeugnis. Smith Wigglesworth heilte manche Menschen indem er sie schlug. Seine Jünger versuchten dasselbe, aber die Kranken wurden nicht geheilt. Bei Kenneth Hagin liest man manche Extreme mit denen die Glaubensbewegung heute in Verbindung gebracht wird, nicht.

Gerade die Biographie Luthers machte seine Lehre verständlich, sie erklärt aber auch das Prinzip, dass man nicht etwas an den Anfang stellen darf, was ein Ende ist. Die Erkenntnis, es nicht zu schaffen führt am Ende eines Lebens zu Liebe und Demut, am Anfang führt sie zu Selbstbetrug. Ein anderes Beispiel ist die berühmte Aussage des Paulus in Galater 2,24: „nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir.“
Paulus sagte das am Ende seines Lebens. Wenn wir es an den Anfang setzen und behaupten, „dass Christus uns lebt“, ignorieren wir den lebenslangen Kampf des Apostels und behaupten etwas für uns, was wir noch nicht erkämpft haben. So wird eine geistliche Wahrheit zum reinen Bekenntnis, hinter dem nichts steht. Wir müssen lernen die Dinge an die richtigen Stellen auf der Zeitachse einzuordnen.
Am Ende noch mal den Kierkegaard-Gedanken als Originalzitat:

Wenn Faust am Ende seines Lebens in der Arbeit an der Erkenntnis sagt: „ich sehe, dass wir nichts wissen können“, so ist das Resultat, und etwas durchaus anderes, als wenn dieser Satz von einem Studenten im ersten Semester übernommen wird, um damit seine Faulheit zu rechtfertigen. (Kierkegaard) (Seite 38. Bonhoeffer selbst hat „als Resultat“ stark markiert).

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8 Kommentare

  1. Hallo storch!
    Gute Zusammenfassung. Da kann man Bonhoeffer nur Recht geben: wir machen es uns mit dem „allein aus Gnade“ oft zu leicht und bequem. Bin auch gerade dabei, Bonhoeffers Nachfolge zu lesen (http://windhauch.net/category/bibel/bonhoeffer-nachfolge/) und bin fasziniert von seiner klaren Sprache, seinem herausfordernden Denken und das ganze auch noch auf dem Hintergrund einer überzeugenden Biographie!

  2. Hallo Windhauch,

    schön, dass zwei Leute gleichzeitig über das Buch bloggen. ist wirklich eine empfehlung, es sollte mehr gelesen werden.

  3. Vielen Dank für diese Sätze!! Diese Tendenz entdecke ich auch immer wieder und sie beraubt uns in krassem Maße… Danke schön!

  4. Hm, einerseits hast du vollkommen recht, andererseits gibt es m.E. auch diese Zweigleisigkeit oder vielleicht sogar Paradoxie – ich bekenne hier und heute, dass nicht mehr ich lebe, sondern Christus in mir und verwende den Rest meines Lebens darauf, entsprechend zu leben bzw. mein Denken und letztlich Handeln anzupassen. Wir sind bereits heilig und tadellos und üben dennoch ein Leben lang einen heiligen Lebenstil ein. Ich bin bereits geheilt in Christi Wunden und warte doch noch auf die Manifestation der Heilung.

    Wenn man ein Leben lang braucht, bis man endlich Gnade erkennt, ist das doch eigentlich ein vertanes Leben, oder?
    Oder hab ich dich falsch verstanden?

  5. oops… hier das eigentliche Zitat: „Ein anderes Beispiel ist die berühmte Aussage des Paulus in Galater 2,24: „nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir.“
    Paulus sagte das am Ende seines Lebens. Wenn wir es an den Anfang setzen und behaupten, „dass Christus uns lebt“, ignorieren wir den lebenslangen Kampf des Apostels und behaupten etwas für uns, was wir noch nicht erkämpft haben. So wird eine geistliche Wahrheit zum reinen Bekenntnis, hinter dem nichts steht.“

  6. Hi Storch!

    Die Aussagen zu Luther finde ich sehr zutreffend..

    aber bei Paulus vertust Du Dich fürchte ich:

    1. Der Galaterbiref wird allgemein auf die Jahre 53 bis 55 n. Chr. datiert (teilweise früher).
    Wenn man ein Todesdatum des Paulus etwa Mitte der Sechziger Jahre (ca. 67 n. Chr.) annimmt, dann ist „am Ende seines Lebens“ recht weit gefasst.

    2. (und viel wichtiger)
    Sachlich finde ich es nicht zutreffend zu sagen, dass die Wahrheit von Gal. 2,20 „erkämpft“ werden muss – im Gegenteil!

    Sie gilt jedem Christen vom ersten Tag seines Glaubenslebens an, unabhängig von irgendwelchen Erfahrungen, erst Recht von (gewonnenen?) Kämpfen.

    Auch völlig unabhängig etwa von Gefühlen oder dem Stand der Heiligung!

    Der 1. Johannesbrief sagt dasselbe ja übrigens noch drastischer, dass nämlich Gott selbst (nicht „nur“ Jesus ;-)) in uns wohnt („bleibt“).
    [1. Joh. 4,16]

    Allerdings:

    Das „Christus in uns“ (Römerbrief!) ist bei Paulus die BEGRÜNDUNG, die allen Ansprüchen (Gottes!) und moralischen Erörterungen (interessanterweise immer erst im zweiten Teil seiner Briefe) vorausläuft.

    Andersherum:

    Ohne den `Jesus in uns` ist ein christliches Leben, dass den Ansprüchen Gottes genügt, überhaupt nicht denkbar!

    AN DIESER STELLE (nicht bei Luther, das sehe ich genauso, s.o.!) ist es tatsächlich wichtig, mit der Erkenntnis „ich kann nicht!“ ANZUFANGEN und nicht (nach Jahren frucht- und erfolglosen und ermüdenden Kampfes) zu enden!

    Das muss nicht billig sein.

  7. Nochmal kurz:

    Ich frage mich gerade, ob Du mit „erkämpfen“ meintest, sich diese Wahrheit im Laufe der Zeit anzueignen?

    Dann meinen wir denke ich letztlich dasselbe.

    Oder würdest Du tatsächlich sagen, dass die Aussage Gal. 2,20 erst ab einem bestimmten „Reifegrad“ (vielleicht nicht das beste Wort) gilt – also nicht von Anfang (des Christseins) an?

  8. mit Paulus hast du recht. der brief ist mehr als ein jahrzehnt vor seinem tod geschrieben, dennoch schon eine ganze weile nach seiner bekehrung. damit bleibt die hauptaussage intakt: paulus bruachte zeit um dahin zu kommen, dass tatsächlich nicht mehr er lebte sondern christus in ihm.

    zum zweiten kommentar: genau. es ist meiner erfahrung nach ein kampf sich das anzueignen, was christus erworben hat. mit der bekehrung ist quasi vieles in uns angelegt, was wir in einem lebenslangen prozess uns aneignen.
    ich bin ziemlich sicher, dass wir das mindestens sehr ähnlich sehen.

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