Sicherlich hat Hiob nichts vom Konstruktivismus gewusst, so weit war die Philosophie zu seiner Zeit noch nicht. Dennoch hat er eine der Grundregeln dieser Richtung bennant. Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie viel zeitübergrifende Weisheit und Wissen in der Bibel steckt. Erkenntnistheoretiker wie Maturana und Varela haben ihre Theorien anhand des Schöpfungsberichtes erläutert. Soziologen entpuppen sich manchmal unversehens als Theologen und das Wissen, das seit Jahrhunderten in Gottes Wort nachzulesen ist wird Stück für Stück und Schritt für Schritt durch moderne Wissenschaft entdeckt.

Darf nicht das Ohr die Worte prüfen, wie mit dem Gaumen man die Speisen schmeckt? Findet sich bei Greisen wirklich Weisheit, und ist langes Leben schon Einsicht? (Hiob 12,11-12)

Konstruktivismus geht davon aus, dass der Mensch seine Umwelt generiert. Es gibt zwar eine Umwelt, Konstruktivismus ist nicht Solipsismus, aber sie wird nicht wahrgenommen wie sie ist sondern wie wir sie interpretieren. Teilweise wurde die Theorie von der Kybernetik beeinflusst und der beginnenden „Computerwissenschaft“. Man kann sich das menschliche Gehirn als eine Art Rechner vorstellen. Wie bei einem Computer kommt nicht direkt Schrift durch die Tastatur oder Bilder durch den Scanner sondern eine endlose Folge von Nullen und Einsen, die Welt in binärer Codierung: 00010011101…. Diese Kette wird interpretiert und – voilá – wird aus ihr „Die Schönheit des Komplexen“.
In Hiobs Sprache bedeutet dies, dass „das Ohr die Worte prüft„. Worte kommen an als erst einmale nutzlose Informationen die im Gehirn verarbeitet werden. Je nach Gehirn und Sprache, kulturellem Hintergrund usw. kann das Ergebnis dieser Prüfung oder Verarbeitung völlig unterschiedlich aussehen. In der Sprache Humberto Maturanas heisst das:
Als strukturdeterminierte Systeme sind wir von aussen prinzipiell nicht gezielt beeinflussbar, sondern reagieren immer im Sinne der eigenen Struktur. So kann ich nicht steuern, wie meine worte wirken: jeder liest, was er oder sie liest, dafür trage ich keine Verantwortung! nicht der Text legt fest, was sie lesen, sondern ihre Strukur, ihre Befindlichkeit.:“(Maturana, Humberto: Was ist erkennen?, München 1994, Seite 36)“:

Natürlich kann es passieren, dass die Kette aus Nullen und Einsen falsch interpretiert wird. Jeder, der länger mit Computern zu tun hatte kennt das: auf einmal macht die Kiste Blödsinn, man kann nichts mehr lesen, hat einen Bluescreen oder sonstige Unschönheiten passieren. Dem Gehirn kann gleiches widerfahren, so z.B. bei Dyslexie. Das ist eine wichtige Einsicht. Vielleicht ist es in Bezug auf Theologie im speziellen und Gott im allgemeinen eine der wichtigsten Erkenntnisse überhaupt. „Die Welt ist anders als ich sie wahrnehme“ bedeutet, dass ich meinen Gefühlen, Gedanken, meiner Alltagsempirie mit einer gewissen Skepsis begegnen sollte. „Wahrheit“ kann nicht von innen, aus meiner „Sinneserkenntnis“ (dem Realm of the Senses, wie Kenyon sagen würde) kommen. Ich brauche eine andere Quelle um Wahrheit wirklich ergreifen zu können.

Nun frage ich Dich, Sherlock Holmes, welche Quelle wird das sein?

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7 Kommentare

  1. Ich brauche eine andere Quelle und gleichzeitig das Bewusstsein, dass ich die Quelle in diesem Leben nicht voll ausschöpfen werden kann. Der Vorteil vom christlichen Glauben ist, dass man irgendwann überhaupt bei der Quelle ankommt. 😉
    „Noch ist uns bei aller prophetischen Schau vieles unklar und rätselhaft. Einmal aber werden wir Gott sehen, wie er ist. Jetzt erkenne ich nur Bruchstücke, doch einmal werde ich alles klar erkennen, so deutlich, wie Gott mich jetzt schon kennt“ (1.Kor. 13,12Hfa).
    Gehts konstruktivistischer?

  2. Check mal die Theorien des Radikalen Kontruktivismus, Die soziologische Systemtheorie, die Entstehung der Wahrnehmung in der modernen Wissenschaft (Physik: Ursprung der Materie / Licht / Idee), Platons Höhlengleichniss und seine Ideenlehre, die Realitätserschaffung aus Sicht des Theravadabuddismus (nur die Entstehung der Wahrnehmung, nicht die Befreiungslehre).

    Das ganze dann nochmal mit den ersten 5. Versen aus dem Johannesevangelium verglichen….wenn die Wissenschaft wirklich wollte, könnte Sie Gottes Existenz und die Schöpfung, zumindest auf Basis der Naturbeobachtung und der Entstehung von Realität schon längst „beweisen“.

    Eigentlich kann jeder, der sich einmal mit einem Prisma beschäftigt auf diese Wahrheit stossen. Natürlich können wir nur die Beschaffenheit erahnen, denn die Ursache an sich ist heilig und kann eben nur von wirklich lebenden Christen begriffen werden.

    Tja sorry, aber es können nicht alle Religionen recht haben. Viele kratzen an der Wahrheit, aber wann begreift die Welt denn endlich, dass Gott als Jesus Christus gekommen ist, um es nun auch dem grössten Skeptiker zu ermöglichen, an Ihn zu glauben und Ihn zu lieben. Diese ewige Rebellion gegen den Schöpfer ist zwar allzu natürlich und notwendige Schlussfolgerung (freier Willen etc.), aber nervt langsam :).

    Weiter so, Storch !

  3. 🙂

    Deshalb sollte man nicht wertvolle Zeit mit mystischer Suche vergeuden, sondern mit Jesus zusammen loslegen und tun was auch immer er führ uns im Sinn hat.

  4. Also doch lieber ein Gegensatz von Objekt und Subjekt? Und die eine andere (objektive) Quelle der Wahrheit, die man ergreifen, deren man teilhaftig werden kann… die man besitzen kann?
    Ich glaube nicht, dass der Objekt-Subjekt Gegensatz das biblische Wahrheitsverständnis erfaßt. Er verfälscht es gar. Nun ja, diese ganzen Fragen sind ja so alt, wie die Menschheit. Wenn Hiob hier diese Fragen stellt und wenn solche Theorien, wie der Konstruktivismus (in allen seinen Formen) entstehen braucht uns ja nicht wundern, wenn wir als Vorzeichen annähmnen, dass der Mensch nun einmal unter der Sünde ist.
    Ich empfehle mal in diesem Zusammenhang mal ein Buch von Emil Brunner: „Wahrheit als Begegnung“ (hat mal 25 DM gekosten 😉 Ein kleines Zitat (S. 109f):
    Gottes Selbstoffenbarung ist kein Objekt, sondern ganz und gar das Tun und Sichgeben eines Subjektes, besser: einer Person. Sich selbst eröffnende, Herrschaft und Gemeinschaft mit sich selbst fordernde und anbietende Person ist der radikalste Gegensatz zu allem, was Objekt, oder objektiv heißen könnte. Und ebenso ist der Personakt des Vertrauens (Glaubens – pistis) etwas ganz anderes als Subjektivität…
    Das, um was es in der Bibel geht, ist das Verhältnis der personalen Korrespondenz, wie es in der Korrelation von Wort Gottes und Glaube sich realisiert, und umgekehrt, ein solches Verständnis des Begriffes Wort Gottes und Glaube, wie es durch die Besinnungauf die biblische Grundkategorie der personalen Korrespondenz sich ergiebt.
    Durch sie ist der biblische Wahrheitsbegriff bestimmt und von jedem anderen Wahrheitsverständnis unterschieden.
    Um das zu verstehen muss man das Buch halt mal lesen 😉 Ich glaub ich muss es jetzt auch noch mal tun, da ich es schon lange nicht mehr in der Hand hatte. Durch deine Anregung hier im blog hab ich es mir wieder vorgenommen.
    Wahrheit ereignet sich also, sie geschieht, in der personalen Korrespondenz zwischen dem Wort Gottes und unseren Glauben. Mir leuchtet das mehr ein, als das Objekt-Subjekt Ding und auch mehr als der Konstruktivismus. Vllt, weil ich es erleben durfte 🙂

  5. hi roman,

    erst einmal herzlich willkommen auf meinem blog!
    ich habe ‚wahrheit als begegnung‘ gelesen – ist zwar schon jahre her, aber immerhin. ich bin auch der meinung, dass sich christsein in der beziehung abspielt, aber dennoch ist wahrheit als objekt(ives) nur von mir als subjekt erkennbar.

    da auch beziehungen nicht frei von missinterpretationen sind, also beziehungsmaterial nicht eindeutig (objektiv) empfangen wird, sind beziehungen als teil der realitaet denkbar, die wir erschaffen. das gilt wiederum fuer alle beziehungen, auch fuer die gottesbeziehung.

    @ guerillachrist: ich lese buecher aus allen segmenten. bin daher immer dankbar fuer einen guten tipp. hast du einen?

  6. @Storch:

    Kannst dir die ja mal anschauen:

    *Grundlagen des Buddhismus, Nyantiloka
    *Handbuch der buddhistischen Philosophie, Nyantiloka
    *Das Grosse Evangelium Johannes (11 Bd.), Jakob Lorber
    *Der Heilsplan Gottes (3 Bd.), Jakob Lorber
    [Die Lorber Bücher sind extrem teuer und das meiste steht auch auf dieser Seite —> http://www.j-lorber.de]
    *Mere Christianity, C.S.Lewis (Pardon, ich bin Christ auf deutsch..aber besser im Original)
    *Einführung in die Systemtheorie , Niklas Luhmann
    *Autopoiesis and Cognition: The Realization of the Living, H. Maturana und F. Varela
    *Klaus Held (Hrsg.): Edmund Husserl. Ausgewählte Texte
    1. Die phänomenologische Methode, ISBN 3-15-008084-3
    2. Phänomenologie der Lebenswelt, ISBN 3-15-008085-1
    *Die Welt in einem einzigen Atom, Dalai Lama
    *Die Lehre des Buddha vom Abhängigen Entstehen, Dalai Lama
    *Kursbuch Vipassana, Hans Gruber (Fantastische Website zum Theravadabuddhismus http://www.buddha-heute.de)
    *Jesus-der einzig wahre Gott ?, Ravi Zacharias
    *Wie der weite Raum, Sakyong Mipham
    *Mindfulness with Breathing,Buddhadasa Bikkhu
    *Heartwood of the Bodhi Tree, Buddhadasa Bikkhu

    Über die erkenntnisse der modernen Wissenschaft zum Thema Licht/Wahrnehmung/Materia ist das Internet die bessere Quelle

    Viel Spass beim Lesen, eigentlich sind alle Bücher bei Amazon zu bekommen.

    Frieden!

  7. danke! die buddhistischen interessieren mich nur am rande, die anderen kenne ich zumindest teilweise.

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  1. […] operieren die man nicht ganz so wahrnimmt wie sie ist. Dieser Nachweis war für die Anhänger des radikalen Konstruktivismus wichtig, denn der musste sich die Frage vorwerfen lassen wieso man sinnvoll in […]

  2. […] wird. In diesem Blog ist es immer wieder darum gegangen, dass wir als strukturdeterminierte Wesen unsere Realität selbst erschaffen. Deshalb will ich auf diesen Teil nicht erneut eingehen, auch […]

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